
Als ich meine Diagnose bekommen habe, war ich 28 und wollte vor allem eins: nicht auffallen. Ich wollte nicht „die mit dem Diabetes“ sein. Also habe ich gemessen, wenn niemand hinschaut. Habe meine Blutzuckerwerte stillschweigend im Kopf jongliert. Habe unter- oder überzuckert auf der Arbeit gesessen und einfach so getan, als wäre alles okay.
Inhaltsverzeichnis
- Warum ich meine Gefühle jahrelang verdrängt habe
- 5 Folgen, wenn du deine Gefühle zum Diabetes wegdrückst
- Wie ich gelernt habe, offener zu werden
- Fazit: Ehrlich sein macht leichter
- Austausch: Wie gehst du damit um?
Ich dachte lange Zeit, wenn ich meine Gefühle wegdrücke – Angst, Wut und Hilflosigkeit –, dann ist das leichter. Für mich. Für alle anderen. Ich wollte stark sein. Aber eigentlich war es das Gegenteil: Es hat mich unsicher und einsam gemacht.
5 Folgen, wenn du deine Gefühle zum Diabetes wegdrückst
1. Du trägst die Last allein
Wenn du nicht darüber sprichst, merkt niemand, wie schwer es manchmal ist. Von außen wirkst du „funktionierend“, aber innen drin türmt sich alles auf. Ich hab lange gedacht: „Es versteht es keiner. Wahrscheinlich geben sie mir alle selbst die Schuld.“ Erst als ich mich geöffnet habe, habe ich gemerkt: Es gibt so viele Menschen, die das kennen. Und auch die Personen aus dem engeren Umfeld, also die Familie und die engsten Freunde, die es persönlich nicht kennen und vielleicht bisher noch keine Berührungspunkte mit Diabetes hatten, stehen einem zur Seite und versuchen so viel wie möglich zu helfen.
2. Deine Wut sucht sich andere Wege
Ich hab meine Gefühle damals nicht gezeigt – aber sie waren trotzdem da. Ich war gereizt, genervt, manchmal ohne Grund wütend auf Menschen um mich herum. Eine Freundin hat mich kurz nachdem ich ihr von der Diagnose erzählt habe mal gefragt, ob wir nicht Eis essen gehen wollen zur Aufheiterung. Ich war wirklich sauer und dachte mir „Ist das jetzt ihr Ernst – Eis = Süßes, Zucker???“. Heute weiß ich: Diese Wut hatte mit meiner Überforderung zu tun und meine Freundin hat das auch nur von Herzen gut gemeint.
3. Du verpasst echte Nähe
Wenn du alles wegdrückst, lässt du andere nicht wirklich an dich ran. Ich hab Freunde und Kollegen gehabt, die nicht mal wussten, wie sehr mich mein Diabetes innerlich beschäftigt. Erst als ich anfing, ehrlich zu sein und auch mal zu sagen „Mir geht’s heute nicht so gut, meine Werte waren doof“, haben sich tiefere Gespräche ergeben – und echte Unterstützung.
4. Dein eigener Druck wird größer
Immer „alles im Griff“ haben zu wollen, macht müde. Ich habe mir oft gedacht: „Wenn ich’s schon niemandem erzähle, dann muss ich wenigstens perfekt funktionieren.“
Aber das ist ein Teufelskreis: Je perfekter du wirken willst, desto mehr Fehler fühlen sich wie Versagen an – und desto mehr Druck baust du auf. Ich habe Tage erlebt, in denen ich da saß und mir dachte: „Warum kann ich nicht einfach normal sein?“
5. Du nimmst dir die Chance, zu heilen
Gefühle zulassen heißt nicht, dass alles perfekt wird. Aber es ist der erste Schritt, um Frieden mit dem eigenen Diabetes zu schließen. Heute weiß ich: Wenn ich traurig bin, darf ich das sagen. Wenn ich wütend bin, darf ich das rauslassen. Wenn es mir mal nicht so gut geht, darf ich das meinen Mitmenschen sagen und ich werde gehört. Das macht es einfach leichter – und gesünder.
Als ich anfing mit anderen Diabetikern zu sprechen und Antworten kamen wie: „Geht mir genauso“, „Danke, dass du’s sagst“ – haben mir diese Rückmeldungen gezeigt: Ich bin nicht allein. Genau da begann Heilung.
Wie ich gelernt habe, offener zu werden
Mein erster richtiger Wendepunkt kam in Italien – in Sirmione, am Gardasee. Unser erster großer Urlaub als Paar. Wir hatten nur schnell gefrühstückt, sind zwei Stunden gefahren und danach stundenlang durch die Altstadt gelaufen. Irgendwann standen wir völlig verloren am Meer, weit weg von der Innenstadt es war superheiß, wir hatten kein Wasser mehr, mein Blutzucker war garantiert im Keller – und meine Laune auch.
Ich hab mich nicht so richtig getraut zu sagen: „Ich muss was essen.“ Stattdessen bin ich schweigend neben meinem Mann hergelaufen, immer gereizter, immer hungriger – bis es irgendwann nicht mehr ging und alles raus musste. Ich erinnere mich noch an diesen Moment: Sitzen auf einer steinernen Treppe, Tränen in den Augen, Traubenzucker in der Hand. Alles kam raus – Hunger, Frust, Angst, dass ich „kompliziert“ bin. Ich dachte, oh je, er findet Urlaub und Ausflüge mit mir sicher total anstrengend. Aber das Gegenteil war der Fall: Er war super froh, dass ich ehrlich war und versprach mir, sich ab sofort immer um mich zu kümmern, Notfalltraubenzucker dabei zu haben und nie wieder ohne Rucksack mit Proviant unterwegs zu sein. Puuuh, was für eine riesengroße Erleichterung für mich!
Und danach? Wurde es Stück für Stück besser. Weil ich gemerkt habe: Es wird nicht leichter, wenn ich meine Bedürfnisse verschweige.
Das war der Anfang. Freunde und Kollegen ins Boot zu holen, hat noch länger gedauert – aber in Sirmione habe ich zum ersten Mal gespürt, wie befreiend Ehrlichkeit sein kann.
Fazit: Ehrlich sein macht leichter
Ich dachte früher, Gefühle zeigen macht mich schwach. Heute weiß ich: Gefühle zeigen macht mich mutig. Denn: Gefühle wegdrücken macht dich nicht stärker – nur schwerer. Wenn du ehrlich bist, passiert das Gegenteil: Du wirst verstanden, getragen und merkst, dass du nicht allein bist.
Der Moment, in dem ich anfing, meine Wut, Traurigkeit oder Angst nicht mehr runterzuschlucken, war auch der Moment, in dem ich mich selbst besser verstand. Ich lernte: Ich muss nicht perfekt funktionieren, um gut mit meinem Diabetes zu leben – ich muss echt sein.
Vielleicht fühlst du dich gerade noch nicht bereit, darüber zu reden. Und hey – vielleicht reicht’s fürs Erste schon, wenn du einfach ehrlich zu dir selbst bist. Das ist oft schwerer (und mutiger), als man denkt.
Und jetzt du!
Wie gehst du mit deinen Gefühlen zum Diabetes um? Drückst du sie manchmal auch weg – oder hast du gelernt, sie zuzulassen? Und wie lange hat es bei dir gedauert, bis du offen damit umgehen konntest?
Schreib mir gern in die Kommentare – ich freu mich, von dir zu lesen.
Wenn dich ehrliche Einblicke aus dem Leben mit Diabetes interessieren, lies auch meinen Erfahrungsbericht zur meiner 1500-Höhenmeter-Höllental-Wanderung.
